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 Der Mauersegler

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csba
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Anmeldungsdatum: 02.06.2012
Beiträge: 983


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BeitragVerfasst am: 26.12.2013, 15:13    Der Mauersegler Antworten mit ZitatNach oben

Ich habe vor knapp drei Jahren einen kleinen Mauersegel aufgegabelt, der vom Nest auf die Strasse hinuntergefallen war, und ihn mit nach Hause genommen. Die Aufzucht des kleinen Vogels hat neben den verusachten Kosten von ca. 280 Euro einen zusaetzlichen zeitlichen Aufwand von 7 Wochen gekostet. Als der Mauersegel endlich soweit war, dass er fliegen konnte, habe ich jenen an derselben Stelle ausgesetzt, wo ich ihn aufgefunden hatte. Dazu habe ich folgende Geschichte geschrieben:


Ich habe den kleinen Vogel in der Nähe des Ortes, wo ich ihn aufgefunden hatte, freigelassen. Für seinen Jungfernflug habe ich mir eine grosse Wiese mit einem steilen, herabfallendem Hang mit wenig wachsenden Bäumen ausgesucht. Als ich ihn aus der mitgebrachten Kartonschachtel herausholte, setzte ich ihn auf meine offene Handfläche und streckte sie weit hoch nach oben hinauf. Es war für unseren kleinen Mauersegler ein ungewohnter Anblick, plötzlich den unbegrenzten Freiheiten des Himmels entgegenzusehen, die seine eigentliche Heimat bedeuteten. Angesichts der Unsicherheit, der Ohnmacht, vielleicht aber auch des Respektes und der Ehrfurcht vor der unendlichen Grösse des Universums, war jener so nervoes, sodass er richtig vor Angst und Unsicherheit erstarrte, anstelle sich in die Höhen des Himmels abzuheben, und sich zitternd an meiner Hand klammernd festhielt. Seine Voegleinsaugen suchten leicht verunsichert, verängstigt immer wieder mein Antlitz mit wundernden und fragenden Blicken.

Ich rief ihm sanft zu: ”Nun flieg mein Kleiner! So flieg..flieg...flieg! Der Himmel ist Dein! Deine Heimat sind die hohen Lüfte! Dort bist Du zuhause! Dort bist Du Prinz, dort bist Du König. Dafür bist Du geschaffen. Komm doch mein Liebster! So flieg...flieg...flieg!”

Der Kleine wollte seine Flügel nicht schwingen. Zuerst beobachtete er seine neue Umgebung mit genauen und neugierigen Blicken. Ein par Hummeln, Fliegen und andere Insekten schwirrten in der Luft umher. Einige schossen wie ein blitzschneller Pfeil an ihm vorüber, andere wiederum zogen kleine und grosse Kreise um ihn herum. Er hatte grosse Freude an den lustigen Luftspielen der winzigen, fliegenden Geschöpfe gefunden und schaute ihnen bisweilen noch interessiert zu. Hoch oben am Firmament kreisten riesige Vögel krächzend und rufend zu ihm hinunter, als wollten sie ihm sagen: ”So flieg doch hoch zu uns hinauf, Du kleines Vogelwesen. Dort unten ist kein Leben mehr für Dich. Hier oben ist die Freiheit, unendliche Weite, für Dich und für uns geschaffen. So flieg...flieg hoch zu uns hinauf!”

Plötzlich, nach einer Weile wundernden und staunenden Blickes, an meiner inzwischen leicht ermüdenden Hand noch klammernd, überkam dem Kleinen ein unheimlich starkes Gefühl an Selbstvertrauen. Ich konnte es ihm an seinem Blick zum ersten Mal erkennen. Er breitete seine Flügel weit aus, streckte sie in voller Weite, schwang sie in regelmässigen, aber kurzen Abständen hoch und nieder, schaute mich ein letztes Mal (möglich, um ”Danke!” oder ”Lebewohl!” zu sagen) liebevoll an und hob in majestätischer Manier in die hohen, himmlischen Lüfte ab! Er flog, er flog erst tief, dann immer höher, hoch hinauf. Er drehte kleine, grosse, dann immer weitere Kreise! Ein Prinz der Lüfte, ein König des Himmels, eine unbeschreibliche Schönheit! Mein ganzer Stolz!

Ich stand noch sehnsüchtig da, an derselben Stelle, an welcher ich den Kleinen freigelassen hatte und schaute dem winzigen Punkt noch lange nach, bis er allmählich in der unendlichen Weite des Firmament verschwand. In jenem Augenblick überfiel mich ein unbeschreibliches Gefühl von Glück und Selbstzufriedenheit. Es war jenes Geheimnis des Lebens, welches ich nie zu erforschen vermochte! Und ich war unsäglich dankbar, dem Sekundenbruchteil eines einzigartigen Mysteriums teilhaftig gewesen sein zu dürfen.

Ich hielt eine Weile inne und entschloss mich zu einem Spaziergang an der Promenade, entlang des windenden Flusses, der sanft seine Wassermassen über seine leichtgebogenen Krümmungen durch die Stadtmitte hindurchträgt und an seinem Ende dem Oslo-Fjord, der unendlichen Weite des Meeres begegnet. Menschen gingen an mir vorbei, mit lautem Gelächter unterhaltend, mit leisen und zärtlichen Worten fluesternd - hie und da verweilend, betrachtend, meditierend. In den Baumwipfeln zwitscherten die Vögel und unten im sanftfliessendem Wasser schwammen Wildenten umher. Junge Mütter warfen zusammen mit ihren Kleinkindern Wildvögeln Restbrötchen zum Frass vor. Daneben standen Kinderwaegen in allen möglichen bunten Farben. Die Kinder lachten heiterfroh und jagten spielend, springend den laufenden und lautschnatternden Enten nach! Aus den Gebüschen schossen die Spatzen hervor. Sie rangen lautschmatzend mit den Geschnatter der Wildenten um den Futterplatz. Hoch oben in den Lüften krächzten die Möven hernieder und an vereinzelten, wildbewachsenen Grasflächen gruben emsige Amseln nach Regenwürmern, zwischendurch eine Ruhepause sich gönnend. Irgendwo, ganz in der Nähe sang die Nachtigall ihr Abendlied. Ich hielt wieder inne. Stille Gedanke umrankten mich. Gleich den am Firmament gleitenden Vögeln kreisten auch dieselben Gedanken durch meine Sinne umher - suchend, fragend, staunend, ringend nach existentiellen Antworten. Ich wunderte, ich staunte, ich fragte, ich suchte.

Es ist ein einzigartiges Schauspiel unserer Natur, ein harmonisches Zusammenwirken universaler Kräfte, ein Geheimnis, ein Wunder des Lebens. Mich überfiel ein Gefühl von unendlicher Dankbarkeit. Ich war unglaublich dankbar für alles, was lebt und liebt, für all jenes Wunder des Universums, das sich Leben nennt, in dessen Geheimnis mich der kleine Vogel für einen winzigen Bruchteil der Ewigkeit miteingeweiht hatte. Ich war unsagbar glücklich über dieses geschenkte Wunder des Lebens und gleichzeitig erfuellte mich eine tiefe Dankbarkeit.

csab

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γνῶθι σεαυτόν - Erkenne Dich selbst!


Zuletzt bearbeitet von csba am 26.12.2013, 16:06, insgesamt einmal bearbeitet

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xenos




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Beiträge: 1002


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BeitragVerfasst am: 26.12.2013, 15:40    (Kein Titel) Antworten mit ZitatNach oben

Das ist eine schöne Geschichte- oder vielleicht besser ausgedrückt Bericht .
Dem Inhalt des letzten Satzes kann ich nur zustimmen .

Es sing oft die kleinen natürlichenDinge, in denen viel Glück-bringendes steckt .
Wir sollten die Augen aufmachen um sie wahrzunehmen und
wir sollten jene nicht materiellen Gründe finden, für die wir Dankbar sein sollten.

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joef_de
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BeitragVerfasst am: 27.12.2013, 09:20    (Kein Titel) Antworten mit ZitatNach oben

genau!
für den materiellen und zeitlichen aufwand ist dieser erkenntnissgewinn nahezu ein schnäppchen.
andere kommen mit wesentlich mehr einsatz nicht mal halb so weit.
glückwunsch!

gruß
joe

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Catinat
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BeitragVerfasst am: 27.12.2013, 10:04    (Kein Titel) Antworten mit ZitatNach oben

Vielleicht gehoert noch etwas zur Persoenlichkeit dazu, dass man solches so erfahren kann :

Ein gewisser Abstand zu den auch notwendigen Dingen und zur auch notwendigen Betriebsamkeit.

Manchmal vielleicht auch ein Bewusstsein fuer Einsamkeit.

Dann das Grosse im Kleinen entdecken.
Und als ein Wunder erfahren.

Aber auch ein Kind kann solches Wunder erfahren. Ohne ausdrueckliches Bewusstsein fuer das Besondere . Das Kind , wie Picassos Kind mit der Taube : Auf eine natuerliche Art.

Schoen, dass Csba zu Weihnachten uns hier diese Anregung gab.

Gruesse, Catinat

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