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 Nguyen Dus "Truyen Kieu"

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csba
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Anmeldungsdatum: 02.06.2012
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BeitragVerfasst am: 05.05.2013, 18:25    Nguyen Dus "Truyen Kieu" Antworten mit ZitatNach oben

Mit Nguyen Du (1765-1820) erlangte die Nom-Literatur ihre wahre Vollendung. In einer Zeit voller politischer Widersprüche, die von sittenwidriger Dekadenz befallen und von gesellschaftlichen Zerfallserscheinungsprozessen gezeichnet war, thematisierte er in seinem einmaligen Meisterwerk „Truyen Kieu“ (Das Mädchen Kieu) - der als erster Versroman (einem bisher unbekannten Erzählstoff aus dem Chinesischen entlehnt) in Nom-Literatur überhaupt hervorgeht -, die Versklavung der Frau und ihre erniedrigende und minderwertige Rolle sowie die unerträgliche Lebenssituation der einfachen Bauern und brachte seine negative sowie verabscheuende Haltung gegenüber dem feudalen Regime der herrschenden Nguyen zum Ausdruck.

Langbewährte, jahrhundertalte ethische Werte konfuzianischem Erbe, eingemeißelt in Tugenden wie Moral und Sitte, Gerechtigkeit, Loyalität etc. verloren allmählich ihre Wirksamkeit und Stabilität. An ihre Stelle traten dekadente Züge in Form von Betrug, Erpressung, Verrat und Mißgunst sowie Prostitution etc. in Erscheinung, die eine noch größere soziale Kluft zwischen den einzelnen Gesellschaftsschichten herbeiführte. Ideologie und Herrschaftsprinzip gerieten hier aneinander in Widerspruch. Nguyen Du scheute sich nicht davor, heftige Kritik an die regierenden Bonzen der herrschenden Klasse zu üben, obgleich er dem arisierten Hause eines Mandarins entstammte. Seine weibliche Hauptfigur, die Heldin „Kieu“ - eine Geschichte der Liebe, deren Erzählfluß aber in eine Leidensgeschichte mündet - hatte weder das Recht auf freie Partnerwahl, noch konnte sie ihre Talente zur Entfaltung bringen. Der Vater Kieus, ein ehrenhafter Mann, der seine Schulden nicht rechtzeitig begleichen konnte, wurde von einem Mandarin zwangsvollstreckt.

Die Tochter, die als die einzigartige Schönheit im ganzen Land bekannt war, mußte ihren Körper an die feudalen Herren verkaufen, um den Vater von der Gefängnisstrafe zu erlösen. Ein Mißgeschick folgte dem anderen. Vergewaltigung, Demütigungen, körperliche Mißhandlungen sowie Erpressungen aller Art waren Folgen einer töchterlichen Liebe und Opferbereitschaft, die nur über jenen einzigen, individuellen Leidensweg des Mädchens die eigene Familie hatte retten können. Durch zahllose und qualvolle Etappen eines geschundenen Lebens hindurchgewandert und erst nach zwei mißlungenen Selbstmordversuchen konnte die Liebesgeschichte ein glückliches Ende finden, wo zwar sich Kieu mit ihrem ersten Liebhaber Kim sowie mit ihren Eltern glücklich und wohlvereint wiederfand, ihr wahres Glück aber erst im tiefen Verlangen nach Religiosität, im Karma des Buddhismus endgültige Erlösung fand.

Wie Nguyen Du gingen zu dieser Zeit auch Kritiker ähnlicher Nom-Werke mit aller kritischen Schärfe gegen die grausame Herrschaft des Nguyen-Regimes sowie gegen die erniedrigende Stellung der Frau wie auch gegen die Sittenwidrigkeit und Tyrannisierung der Familie seitens des herrschsüchtigen Königshauses vor, basierend auf dem starken Glauben an eine Reorganisation gesellschaftlicher Strukturen, die am Ende als Vollendung in der Bildung eines neuen und stabilen Feudalstaates, sowie in der freien, kreativ-schöpferischen Entfaltung der Individuen hervorgehen soll. Einer von den wenigen erhellenden Momenten in der Leidensgeschichte von Kieu war der Rebell Tu Hai, den sie aus freiem Willen heiratete. Mit einem Heer von mehreren tausend starken Männern, zog dieser in die Welt hinaus, um das Unrecht, das seitens der herrschenden Feudal-Klasse begangen wurde, zu bekämpfen. Nachdem sich der Held von Kieu überzeugen ließ, wieder ein normalbürgerliches Leben zu führen und dem Kaiser treuergeben zu dienen, wurde dieser trotz seines tugendhaften Entschlusses durch die heimtückische List des Kaisers und schließlich von seinen Heerführern zu Fall gebracht.

Nguyen Du wählte in seinem Meisterwerk bewußt Motive des tugendhaften Heldentums, die durch Figuren wie Tu Hai versinnbildlicht werden sollen, daß aus den Reihen des einfachen Volkes schon immer herausragende Persönlichkeiten hervorgetreten sind, die für Freiheit, Recht und Gerechtigkeit gekämpft hatten. Dies zeigt sich besonders durch die in diese Zeit hineinfallenden Bauernaufstände deutlich, wo solche mutige Helden - wie zum Beispiel Nguyen Hue im damaligen Tayson-Aufstand - tatsächlich ganze Heerestruppen von Bauern angeführten hatten. Vor allem läßt es sich anfühlen, als ob das einfache Volk nach der Umwertung der Werte schrie und seine Schriftsteller als Stimme und Medium benutzte, um das Unrecht, das ihnen widerfahren war, in ihren geschaffenen Werken in Form von rhythmischen Versmetren dem König und seiner herrschenden Sippschaft vorzutragen.

Die Kieu-Geschichte ist ein Werk höchster künstlerisch-sprachlicher Perfektion der Nom-Literatur. Hier wird die Volks- sprache als solche in den lyrisch-poetischen Zeilen (an die 3.254 Verse) eines Versromans in schönster literarischer Vollendung präsentiert. Wie kein zweiter hat es Nguyen Du verstanden, die volkstümliche vietnamesische Verschöpfung mit der gediegenen Kultur chinesischer Klassik zu verbinden.

Zitiert aus: "Die Literaturgeschichte Vietnams"; vietnam-kompakt.de


csba

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onscho
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BeitragVerfasst am: 05.05.2013, 19:35    (Kein Titel) Antworten mit ZitatNach oben

Ich habe die Geschichte leider noch nicht gelesen, würde es aber gerne mal tun.
Zu der von dir zitierten Rezension (wenn man das bei einem so alten Werk so nennen kann) möchte ich sagen, dass diese ganz gut ist, aber meiner Meinung nach ein bisschen zu viel anpreisend ist. Man sieht, aus welcher Ecke der Autor kommt.
Die "Feudalklasse" wird angeprangert, gleichzeitig wird die Aufgabe des Selbst aus kindlicher Pietät gutgeheissen... Meiner Meinung nach ein bisschen zu tendenziell.

Dennoch habe ich jetzt nocht mehr Lust als vorher, das endlich mal zu lesen.

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csba
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BeitragVerfasst am: 05.05.2013, 19:38    (Kein Titel) Antworten mit ZitatNach oben

« onscho » hat folgendes geschrieben:

[...]...aber meiner Meinung nach ein bisschen zu viel anpreisend ist. Man sieht, aus welcher Ecke der Autor kommt.
Die "Feudalklasse" wird angeprangert, gleichzeitig wird die Aufgabe des Selbst aus kindlicher Pietät gutgeheissen... Meiner Meinung nach ein bisschen zu tendenziell.

Dennoch habe ich jetzt nocht mehr Lust als vorher, das endlich mal zu lesen.


Danke fuer Deine Kritik, lieber Onscho, und gut, dass dadurch Deine Leselust noch mehr geweckt wurde.

csba

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chi49
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BeitragVerfasst am: 06.05.2013, 16:10    (Kein Titel) Antworten mit ZitatNach oben

neue moderne "tho" von jungen Leute über "Kim van Kieu"

http://vnexpress.net/gl/xa-hoi/giao-duc/2013/05/nam-sinh-chuyen-toan-tom-tat-truyen-kieu-trong-38-cau/

habe noch Übersetzung in Deutsch von einer DDR-Verlag !

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onscho
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BeitragVerfasst am: 06.05.2013, 17:17    (Kein Titel) Antworten mit ZitatNach oben

Hey chi49, kannst du bitte kurz den Inhalt deines Links zusammenfassen? Hier können ja nicht alle (gut genug) Vietnamesisch, um das verstehen zu können.
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Cesle
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BeitragVerfasst am: 25.05.2013, 18:53    (Kein Titel) Antworten mit ZitatNach oben

Truyen Kieu ist ein großer vietnamesischer Werk. Er hat 3245 Verse.
Besucht http://en.wikipedia.org/wiki/The_Tale_of_Kieu , genauere Infomation zu lesen.

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BriGro
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Anmeldungsdatum: 19.09.2013
Beiträge: 1


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BeitragVerfasst am: 19.09.2013, 18:12    erste 8 Verse auf Deutsch gesucht Antworten mit ZitatNach oben

Lieber Chi 49 und alle anderen,

erst einmal will ich mich vorstellen, weil ich hier neu bin: Ich bin Übersetzerin und arbeite gerade an der Übersetzung eines Buchs der Vietnamesin Kim Thúy, die in Kanada lebt und auf Französisch schreibt. Sie zitiert die ersten 8 Verse aus Truyen Kieu, und ich würde sie sehr gern in der Übersetzung von Faber zitieren. Das Buch ist aber (außer in einer sehr teuren Ausgabe auf ZVAB) nirgends zu finden. In unserer Asien-Afrika-Bibliothek ist es verschollen. Könnte mir jemand diese Verse auf Deutsch schicken?

Dank und Gruß
BriGro

« chi49 » hat folgendes geschrieben:
neue moderne "tho" von jungen Leute über "Kim van Kieu"

http://vnexpress.net/gl/xa-hoi/giao-duc/2013/05/nam-sinh-chuyen-toan-tom-tat-truyen-kieu-trong-38-cau/

habe noch Übersetzung in Deutsch von einer DDR-Verlag !

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Catinat
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BeitragVerfasst am: 19.09.2013, 20:33    (Kein Titel) Antworten mit ZitatNach oben

Liebe BriGro.

Ich habe vor kurzem mit Hilfe von englischsprachiger und franzoesischsprachiger Uebersetzungen privat und als Dilettant ueber Nguyễn Du’s Truyện Kiều , na ja, „gearbeitet“. Es geschah aus rein privaten Gruenden und dauerte ein dreiviertel Jahr. Meine sehr persoenlichen Ergebnisse bzw. sicherlich nicht fehlerfreien Interpretationen haben mich dann selber ueberrascht. Aber als Beitraege in diesem Forum erschienen sie mir zu umfangreich, auch wenn ich alles in etwa 7 – 8 Abschnitte verpacken kann.

Ihre Frage gibt mir einen Anstoss, mich ein wenig vor zu wagen, wennsie auch hier nur ungenuegend von mir beantwortet werden kann. Denn 1. eine deutsche Uebersetzung liegt mir nicht vor , und 2. alle Uebersetzungsversuche anderer Sprachfamilien klaffen wegen der alten Sprach-, Denk- und Fuehlform des Ursprungstextes weit auseinander.

Eine aeltere bilinguale Aufarbeitung (englisch) : http://www.amazon.com/exec/obidos/ASIN/0300040512/preeclotguid-20 Bilingual Englisch – Vietnamesisch Amazon .com (20,22 USD).

Ich selbst besitze hier in Saigon : Nguyễn Du.Truyện Kiều. . Bilingue Việt - Pháp. Editions Thế Giới 2012. Cinquième édition.
Traduction et préface par Nguyễn Khắc Viện (1913 - 1997) - première édition 1994. 362 p. 23 cm; 1.littérature,2. poésie, 3.Vietnam. 895.92212 - dc14.

Nguyễn Khắc Viện hat sich darin im Vorwort ueber die Fast-Unmoeglichkeit einer Uebersetzung geaeussert.

Sie wissen : Irene und Hans Faber haben den Klassiker 1964 versucht, ins Deutsche unter dem Titel „Das Mädchen Kiêu“ zu uebersetzen. Ich selber haette es gerne, komme aber nicht richtig dran. Auch jetzt, bei einem gerade hinter mir liegenden kurzen Deutschlandbesuch.

Ich erlaube mir, Sie mit meiner persoenlichen, unmassgeblichen, unauthorisierten Fassung bekannt zu machen:

„Truyện Kiều -
01.
„Hunderte Jahre – Menschenleben.
So stehen sich gegenueber Stirn an Stirn
auf dem Feld ohne Gnade :
Bestimmung – oder die Kraft des Selbst ?
Der Ozean ueberspuelt Maulbeerfelder und schwemmt Neues an.
Wie in dieser Welt das Schauspiel Euch das Herz zerreisst :
Warum sich aufregen ? Es gibt nichts, rein gar nichts
ohne die Kehrseite auch .
Himmelsblau ueberzieht leicht die Schoenheit von rosa Wangen
aus Eifersucht.“ (eigene Fassung zu : )
“Trăm năm trong cõi người ta,
Chữ tài chữ mệnh khéo là ghét nhau.
Trải qua một cuộc bể dâu,
Những điều trông thấy mà đau đớn lòng.
Lạ gì bỉ sắc tư phong,
Trời xanh quen thói má hồng đánh ghen.” (S.28/29)

So faengt es an. Das Leiden der Thúy Kiều . Mit der grundlegenden Menschheits- und Schicksalserfahrung.

Der moderne vietnamesische Text stets nach
Nguyễn Du.Truyện Kiều. . Bilingue Việt - Pháp. Editions Thế Giới 2012. S.o.

Meine freien Uebertragungsversuche aus der franzoesischen (und englischen) und eigenen beschraenkten Einsicht. Ich habe (im weiteren) das Epos nach Form, Motiven, Inhalt und Gehalt mit Goethes Faust I verglichen – mit fuer mich verblueffenden Ergebnissen. Die Eingangsworte zum Beispiel an : Goethe. Prolog, Faust I : „Raphael
Die Sonne tönt, nach alter Weise,
In Brudersphären Wettgesang …“

Gruesse, Catinat

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csba
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Anmeldungsdatum: 02.06.2012
Beiträge: 983


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BeitragVerfasst am: 19.09.2013, 20:42    (Kein Titel) Antworten mit ZitatNach oben

Lieber Catinat,
danke fuer Deinen Beitrag! Deine Uebersetzung hoert sich sehr gut an!

csba

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Catinat
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BeitragVerfasst am: 20.09.2013, 09:47    (Kein Titel) Antworten mit ZitatNach oben

Truyện Kiều 2

Da ich im Augenblick etwas krank bin, erfreut mich eine ermunternde Stellungnahme wie die von Csba umso mehr. Sein Beitrag, auch an anderer Stelle erschienen, gehoert fuer mich zu den sachlichsten, kluegsten und dient mir als Hintergrundhilfe. Meine Ausfuehrungen hier waren in den Grundzuegen schon in einem anderen Forum, wurden auf meinen eigenen Wunsch hin aber bei Verlassen jenes Forums herausgenommen.

Vorab : Der deutsche Uebersetzungsversuch Das Mädchen Kiều, Verlag Rütten & Loeniing, Potsdam 1964 (übersetzt von Irene und Franz Faber). 2. Aufl., Berlin: Rütten und Loening, 1980,. 292 S. ; 20 cm, 8°, Leinen mit Schutzumschlag , zur Zeit wohl vergriffen und auch bei Amazon kein Angebot.

Als Electronic-Buch – Angebot in Englisch : http://www.preptours.ca/userfiles/file/de/Kim-Van-Kieu-of-Nguyen-Du-1765-1820-pdf-307482-online-book

Dem erwaehnten, hier nicht schwer erhaeltlichen Bilingue Việt - Pháp. Editions Thế Giới 2012 liegt Nguyễn Khắc Viện's (1913 - 1997) Ueberarbeitung zugrunde.

Zwei ebenbuertige, gleichermassen „wuchtige“ Welterfahrungen. Ergreifend die geistige Naehe, die Verwandtschaft.

Truyện Kiều – 02.
So begann es.

So schliesst sich der Kreis.
Lebensweisheit ist universell :

"Cũng đừng trách lẫn trời gần trời xa.
Thiện căn ở tại lòng ta,
Chữ tâm kia mới bằng ba chữ tài.
Lời quê chắp nhặt dông dài,
Mua vui cũng được một vài trống canh." ( Quelle in #1 , S.352/353; Verse ab 3250)

"Das Unheil folgt dem eigenen Selbst wie sein Schatten.
Jeder schleppt sein Schicksal mit sich herum.
Wir sollten den Himmel nicht fuer seine Launen anklagen.
Die Wurzel des Guten ruht in unserem Herzen.
In diesem Herzen, das viel mehr ist als das Selbst.
Auf gut Glueck habe ich diese groben Worte zusammengestellt.
Moegen sie Euch zerstreuen,an langen Abenden."
(eigene Worte zum vietn. Text)

Und bei Goethe ist die Welt-Lebens- Schlusserkenntnis aehnlich, wenn auch etwas buehnenwirksam-dramatisch :

"Margarete : Waeren wir nur den Berg vorbei.
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,
Es fasst mich kalt beim Schopfe !
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein.
Und wackelt mit dem Kopfe;
Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr schwer;
Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr.
Sie schlief, damit wir uns freuten.
Es waren glueckliche Zeiten!
...
Faust : Oh waer ich nie geboren!
Margarete : Was steigt aus dem Boden herauf?
Der! Der ! Schick ihn fort!
Was will der an dem heiligen Ort ?
Er will mich !
Faust : Du sollst leben !
Mephistopheles : Sie ist gerichtet !
Stimme von oben : ...ist gerettet !" (. (G.’s ausgewaehlte Werke. Max Hesse-Verlag, Leipzig, o.J.), Bd.5, ab S.9., hier : S.120f)

Gruesse, Catinat

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spatz






Anmeldungsdatum: 26.01.2003
Beiträge: 76
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BeitragVerfasst am: 20.09.2013, 14:01    (Kein Titel) Antworten mit ZitatNach oben

ich bewundere Catinat sehr für sein Interesse an der vietnamesischen Literatur und für den Mut, Truyen Kieu in Verseform ins Deutsche zu übersetzen. Es ist wirklich ein harter Nuss. Hier ist die Übersetzung der alleersten Zeilen vom Truyen Kieu, übersetzt durch Irene und Franz Faber:

"In hundert Jahren, die
vielleicht
ein Leben währt,
in dieser Erdenspanne widersprechen oft
sich Gabe und Geschick.
So mußte ich in Zeiten, da
Gedanken sich
und Menschen wandelten wie Meere -aus
den Wogen wuchsen Maulbeerfelder-, Dinge schauen, die
mein Herz zerrissen. Welch Gesetz,
das nur
den Überfluß begreift,
wenn Mangel ihn begleitet! Muß
der blaue Himmel stets
mit rosenroten Wangen kämpfen, weil
die Eifersucht ihn quält?

Noch immer sitze ich
vor alten Manuskripten, wende Blatt
für Blatt beim Schein
der Lampe. Zörgernd fast
enthüllt
die Bambusrinde die
Geschichte einer Liebe - Liebe, die
dem Wind gleicht, der
vorüberzieht,
dem Licht des Mondes ähnelt, das
nicht jede Nacht
erhellt."

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Catinat
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BeitragVerfasst am: 20.09.2013, 15:40    (Kein Titel) Antworten mit ZitatNach oben

Hallo, Spatz , das sucht BriGro doch genau, und dankt es Dir. Bestimmt.

Mein Alltagsvietnamesisch ist schlechter als das der meisten ambitionierten jungen Leute hier im Forum. Ich bin zwar selbst eine Art Sprachenlehrer, weiss dadurch aber, dass ich vietnamesisch voellig falsch lerne.

Ich wuehle mich verbissen in Schriftliches ein. Falscher geht es methodisch nicht. Mr. Green

Englisch und Franzoesisch in der Jugend klappten auf natuerliche Art wunderbar : meine erste grosse Liebe, unvergessen, war Frankokanadierin.

Die romanischen Sprachen profitierten etwas spaeter davon, dass ich per Schule zu 9 Jahren Latein verurteilt war. Ausser Portugiesisch : das musste ich auch nachts heimlich unter der Bettdecke lernen, weil ich als blinder jugendlicher Passagier ueber Hamburg auf die João Pessoa nach Brasilien wollte. Die Hunde im Freihafen verstanden weder mein Deutsch- noch mein Portugiesisch-Gestammel.

Bei Vietnamesisch lief und laeuft alles falsch. Die Kinder in meiner Hẻm kommen zu mir, um Englisch zu lernen. Die kleineren Enkel wollten nur "hangman" mit mir spielen.

Weil sowieso nicht mehr so viel aus mir herauszuholen ist, bohre ich mich wildwuetig ein. "Gebrauchsfertiges" bleibt dabei nicht haengen. Ein "Gespuer" fuer Sprache schon.

Bei "Uebersetzungen" (besser: Uebertragungen) der Truyện Kiều muesste m.M. nach herauskommen, dass es um das "Spiel", den "Kampf" der drei Maechte geht : das Selbst (technisch : das Individuelle - hochinteressant, es als Macht in konfuzianischen Grundmauern zu erleben)), der "Himmel" (die , wie das Meer auch , unbeeinflussbaren Aussenmaechte oder die "Bestimmung") , das "Herz". Wer/was verschafft Leiden, wer/was siegt ? - siehe "Lehre", Vers 3250 u.ff. bei Kiều bzw. bei Gretchen. Man vergleiche - ich war verbluefft.

Im Sinne der drei Kraefte beim Schicksalsspiel stellt sich bei meinen Untersuchungen heraus : weder Kiều noch Gretchen, schon gar nicht deren maennlichen "Lebensabschnittsbegleiter" sind die Hauptprotagonisten. Das ordnen Goethe wie Nguyễn Du auf ihre Art wieder eigen und beide ausserordentlich listig .......

(Fortsetzung erwuenscht, erlaubt ? Spannung fuer Liebhaber bis zum Schluss eigentlich garantiert).

So schliesst sich der Kreis.
Lebensweisheit ist universell .

Gruesse, Catinat

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Catinat
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BeitragVerfasst am: 20.09.2013, 18:44    (Kein Titel) Antworten mit ZitatNach oben

Truyện Kiều - 03.

Die Schoenheit – Wertschaetzung als "Kulturgut" jeder Kultur, Ost und West, in “schoener” singbarer Fassung.

„Beim Himmel, dieses Kind ist schoen
so wie ich es noch nie gesehn.
Sie ist so sitt- und tugendreich
und etwas schnippisch doch zugleich.
Der Lippe Rot, der Wange Licht,
Die Tage der Welt vergess‘ ich’s nicht.
Wie sie die Augen niederschlaegt,
hat tief sich in mein Herz gepraegt;
wie sie kurz angebunden war,
das ist nun zum Entzuecken gar.“ (Quelle „Goethe” , a.a.Ort , S.6Cool

Kiều steht Margarete in der Wertschaetzung ihrer weiblichen Erscheinung in nichts nach. Beide sind dennoch ganz „eigen“:

„Wolken haben nicht den Glanz ihres Haars,
der Schnee nicht die Reinheit ihrer Haut.
Kiều , die aeltere (zweier Schwestern) von einpraegsamer Schoenheit,
unnachahmlich in ihrer Anmut, in ihrem Selbst. Sie ruft hervor
mit ihrem Blick den Widerschein von Seen in der Herbstzeit,
mit ihren Brauen den Schmuck der Waelder im Fruehling.
Die Blumen erbleichen vor Verlegenheit,
die Weide vergiesst Traenen , weil ihre Eleganz nicht an die ihre heranreicht.“
(eigene Textannaeherung nach : )

„ Vers 21 ff : Hoa cười ngọc thốt đoan trang,
Mây thua nước tóc, tuyết nhường màu da.
Kiều càng sắc sảo, mặn mà,
So bề tài, sắc, lại là phần hơn.
Vers 25 : Làn thu thủy, nét xuân sơn,
Hoa ghen thua thắm, liễu hờn kém xanh.
Một, hai nghiêng nước nghiêng thành”

Gruesse, Catinat

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csba
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Anmeldungsdatum: 02.06.2012
Beiträge: 983


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BeitragVerfasst am: 20.09.2013, 20:56    (Kein Titel) Antworten mit ZitatNach oben

Lieber Catinat,
es ist schoen zu wissen, dass es jemanden hier im Forum gibt, der Nguyen Dus "Truyện Kiều" mit Goethes "Faust" Parallelen d.h. eine Verbindung zwischen Ost und West herstellen kann. Dass Du diese Uebersetzung von Truyện Kiều zu Deinem Hobby gemacht hast, das ist sehr bewunderungswuerdig.

Auesserst interessant sind sie - Deine Uebersetzungen! Da wird ein Literatur- und Sprachforscher-Instinkt in Dir geweckt!
Ich habe das "Maedchen Kieu" vor Jahren gelesen und vieles schwebte mir noch als Erinnerung im Kopf bis es dann wieder vergessen und verdraengt wurde. Es freut mich aufrichtig, dass Du diese vereinzelten Erinnerungen durch Deine Uebersetzungen wieder aufgefrischt hast.

Off Topic:
Zu Deinem Spruch :

So schliesst sich der Kreis.
Lebensweisheit ist universell


haette ich folgendes Gedicht von Hermann Hesse parat:


Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

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γνῶθι σεαυτόν - Erkenne Dich selbst!

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Catinat
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BeitragVerfasst am: 20.09.2013, 22:43    (Kein Titel) Antworten mit ZitatNach oben

Hermann Hesses Schicksalsgedicht , ebenbuertig, - es traegt sogar in bitteren Stunden. Es kann viel Kraft geben. In jeder Lebensphase. „Vielleicht“ auch bis in die Todesstunde.

Uebersetzen von vollendeter Literatur ist ja, die hochwertigen “Bilder” der einen Kultur in die anderen Bilder der anderen Kultur auf gleicher Hoehe einzufangen.

“ Vers 26 : Hoa ghen thua thắm, liễu hờn kém xanh.”

Eins meiner Probleme war (und ist) zum Beispiel die Verwendung des Begriffs „Eleganz“. Er wird in einer franzoesischen Fassung verwendet, elegance, da gehoert er auch hin . Erstens fand ich kein entsprechendes deutsches Synonym, „Anmut“ hatte ich schon verwendet. Es muss ein Begriff sein, der zuerst Weiblichem zugeordnet wird – aber, nein, warum aber ? , - eine Seite der Festigkeit in scheinbarer Nachgiebigkeit ausdrueckt.

Es klappte nicht. Ich fand noch eine Alternative, bei der mehr der Aspekt der Uebertragung als der der Uebersetzung zum Tragen kommt.
„ Die Weide perlt die Tropfen , Traenen , (jede) gefuellt mit neidvollem Wissen unvergleichlicher Schoenheit“ (Kiều’s).

Dann fiel mir etwas auf. Etwas, was formal sonst kaum Beachtung findet bei den offenbar “tauben” Lese-Wuerdigungen des “Gedichts” der Kiều .
Ich fand es nicht alleine heraus, „wir“ stellten es fest bei gemeinsamer Bearbeitung.

Es muss „vorgetragen“ werden, nicht bloss still gelesen. Der Vortrag des vietnamesischen Textes muss unbedingt GEHOERT werden. An dieser Stelle , in der es um die Schoenheit Kiều’s geht, geht es auch um die Schoenheit der sprachlichen , klanglichen Kunst.

Am naechsten komme ich diesem , fuer mich als Vietnamesisch-Kaum-Sprachler nur langsam und an wenigen Stellen nach guter Vorbereitung zur Kenntnis des textlichen Inhalts hoerbaren Genuss , indem ich mir bildlich und hoerbar vorstelle :

Die aufrechte Gestalt einer Sampanière, die das lange Yuloh-Ruder jedesmal ueber die linke Seite des Hecks rhythmisch gleichmaessig in die Fahrlinie zieht und bei dieser so leicht erscheinenden Weise das Lied der schoenen Kiều singt , „Hoa cười ngọc thốt đoan trang,
Mây thua nước tóc, tuyết nhường màu da.
Kiều càng sắc sảo, mặn mà … „

(Ich habe mir auch eine Hoerprobe eines Schauspielers besorgt und kann sie spaeter einflechten).

Gruesse, Catinat

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